Schauplatz Ethik

Anleitung zum eigenen Denken

Schauplatz Ethik - im Schwimmbad

Über Erlebnisse in der Badi, an der Chilbi oder im Jugendtreff lässt es sich hervorragend philosophieren. Das Lehrmittel «Schauplatz Ethik», das 2020 erscheint, gibt klare Strukturen und lässt Lehrpersonen gleichzeitig viel Spielraum.

Schauplatz Ethik» ist nicht das erste Lehrmittel, das junge Menschen an philosophische und ethische Fragen heranführt. Aber es ist das erste Lehrplan-21-kompatible und über neun Klassen reichende Lehrmittel im deutschen Sprachraum, das sich traut, die Schülerinnen und Schüler konsequent in ihrem Alltag abzuholen. Und das, bevor auch nur ein Satz zur Theorie fällt. «Auf dem Markt sind bisher vor allem Lehrmittel, die dem stereotypen Theorieaufbau Ich – Du – Wir – Welt folgen», erklärt Professor Dominik Helbling, Fachdidaktiker für Ethik und Religionen an der Pädagogischen Hochschule Luzern und Mitentwickler des Konzepts «Schauplatz Ethik». «Wir haben ganz bewusst einen anderen Zugang gewählt.» Mit insgesamt 27 sogenannten Schauplätzen wie etwa dem Schulzimmer, dem Flohmarkt oder dem Einkaufszentrum steigen die Schülerinnen und Schüler sehr ungezwungen in letztlich tiefgehende Themen ein.

Schritt 1: Einstieg via Schauplatz

«Schauplatz Ethik» ist einfach aufgebaut. Kinder und Jugendliche benutzen das Schauplatzbuch: ein Lesebuch, das mit Texten und Bildern zum Nachdenken anregt. Die Lehrpersonen verfügen über den Kommentar digital, der auch weiterführende Arbeitsmaterialien enthält.

Wie wird nun im Unterricht gearbeitet? Die Klasse schlägt das Buch bei einem der Schauplatzbilder auf. Da diese als Wimmelbilder dargestellt sind, gibt es viele Anknüpfungspunkte für eigene Erfahrungen. Und so entwickelt sich automatisch ein Gespräch. Beispiel Schwimmbad (Schauplatz in der 1./2. Klasse): Die Kinder können aufgrund der vielen Grüppchen auf dem Bild das Thema Freundschaft ansprechen. Oder was man in der Öffentlichkeit darf und was nicht, wegen des Mannes, der in die Büsche pinkelt. Oder religiöse und kulturelle Unterschiede wegen des Mädchens im Burkini.

Schritt 2: Vertiefung

Die Sprungturm-Szene lädt ein, sich über Angst und Mut zu unterhalten. Auf den Folgeseiten des Schauplatzbuches finden sich mit «Angst und Mut» sowie «Nähe und Abstand» zwei Vertiefungen. Dafür sind Ausschnitte des Wimmelbildes ergänzt mit zur Situation passenden Sätzen und Gedanken. In den Arbeitsmaterialien finden Lehrpersonen vielfältige Möglichkeiten, das Thema weiter zu bearbeiten. Etwa ein Blatt mit dem Titel «Wie fühlt sich Angst an?» mit dem Umriss eines Körpers und der Aufforderung «Markiere. Wo und wie spürst du deine Angst?»

Der Schauplatz Spital mit den Vertiefungen «Annäherungen an den Tod», «Organspende» und «Gesundheit – ein wertvolles Gut».

Einfache Umsetzung des Fünf-Finger-Modells

Im Fachbereich «Ethik, Religionen, Gemeinschaft» (in Zürich: «Religionen, Kulturen, Ethik») werden komplexe Gebiete verhandelt, von der Erkenntnistheorie über die Anthropologie bis zur Metaphysik. Das im Lehrmittel angewandte Modell ist aber einfach. Es basiert auf dem Fünf-Finger-Modell von Martens/Dauber mit den fünf Werkzeugen Phänomenologie, Analytik, Hermeneutik, Dialektik und Spekulation. Diese Werkzeuge treten in «Schauplatz Ethik» ebenfalls in Erscheinung:

  • Bewusst wahrnehmen (Phänomenologie): Was geschieht da? Was ist das? Was löst das aus?
  • Begriffe klären (Analytik): Was genau bedeutet das? Wozu wird das Wort gebraucht? Was ist ähnlich oder davon verschieden?
  •  Verschiedene Sichtweisen verstehen (Hermeneutik): Was denken andere? Wie ist etwas gemeint? Wie kam es dazu?
  • Argumente abwägen (Dialektik): Was spricht dafür, was dagegen? Was überzeugt mehr oder weniger?
  • Fantasieren und weiterdenken (Spekulation): Was wäre, wenn …? Was könnte passieren? Könnte es auch ganz anders sein?

Die fünf Werkzeuge sind in einfache Worte übersetzt. Beim Schauplatz Schwimmbad heisst es zum Beispiel statt «Bewusst wahrnehmen» schlicht «Beschreibe». Worauf die Kinder beschreiben können, wie sich Angst anfühlt, wovor sie Angst haben und was dagegen hilft. Sie können bei der Aufforderung «Denk nach» überlegen, was mutiger ist: vom Sprungturm zu springen oder aber nicht zu springen, gerade wenn unten die anfeuernden Kollegen zuschauen. Und sie können bei «Stell dir vor» fantasieren, was denn wäre, wenn die Menschen keine Angst mehr hätten.«Die Kinder denken über ihre eigenen Werte und Regeln nach und lernen, diese zu formulieren und zu begründen», erklärt Professorin Eva Ebel, Fachdidaktikerin für Religionen, Kulturen, Ethik am Institut Unterstrass in Zürich und Mitentwicklerin des Konzepts «Schauplatz Ethik». Zum Beispiel beim Arbeitsblatt «Wer darf mir den Rücken einreiben? » in der Vertiefung «Nähe und Distanz». Dabei realisieren sie auch, dass die Menschen unterschiedliche Empfindungen, Regeln und Werte haben – und dass das in Ordnung ist.

Klare Struktur mit viel Freiheit

Laut Eva Ebel kann eine Lehrperson mit ihrer Klasse alle Vertiefungen bearbeiten oder aber nur eine, diese dafür intensiver. Vielleicht ergebe sich aber bereits beim Betrachten des Schauplatzbildes ein derart spannendes Thema, dass dieses weiterbehandelt würde, unabhängig von den Vertiefungen. Hinter «Schauplatz Ethik» steht also ein Konzept, das Lehrpersonen gut und verständlich bei den komplexen philosophischen Themen unterstützt, das ihnen aber auch viel Freiraum lässt.Das Lehrmittel wächst mit den Schülerinnen und Schülern mit. Im 2. und 3. Zyklus finden sich im Lesebuch pro Schauplatz drei statt zwei Vertiefungen sowie eine zusätzliche Doppelseite mit zum Nachdenken anregenden Fragen. Das Mitwachsen gilt auch für die Schauplätze: «Die Jugendlichen kennen mehr Leute, dadurch umfasst ihre Lebenswelt Themen und Institutionen, die sie nicht unbedingt aus direkter Erfahrung kennen, etwa das Spital, die Asylunterkunft oder das Gefängnis», sagt Dominik Helbling.

Selbst zu Werturteilen gelangen

Das Lehrmittel gibt nicht vor, wie man denken und handeln soll, sondern leitet zum eigenen Denken und Urteilen an. Eva Ebel: «Gemäss Lehrplan 21 sollen Schülerinnen und Schüler befähigt werden, philosophische Fragen zu stellen und über sie nachzudenken.» Sie würden sich dadurch die Kompetenzen beziehungsweise die Werkzeuge erarbeiten, mit philosophischen und ethischen Herausforderungen im Leben umzugehen. «Wir haben sehr gute Rückmeldungen aus der Erprobung», sagt Dominik Helbling. Die Schülerinnen und Schüler seien voll dabei, sie würden recherchieren und merken, dass ihr Nachdenken und ihre Meinung zählen. Es gehe nicht um die einzige korrekte Antwort, sondern darum, sauber begründen zu lernen. «Und das machen junge Menschen gerne.»

«Angst und Mut», eine von zwei Vertiefungen zum Schauplatz Schwimmbad.

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