Einfache Umsetzung des Fünf-Finger-Modells
Im Fachbereich «Ethik, Religionen, Gemeinschaft» (in Zürich: «Religionen, Kulturen, Ethik») werden komplexe Gebiete verhandelt, von der Erkenntnistheorie über die Anthropologie bis zur Metaphysik. Das im Lehrmittel angewandte Modell ist aber einfach. Es basiert auf dem Fünf-Finger-Modell von Martens/Dauber mit den fünf Werkzeugen Phänomenologie, Analytik, Hermeneutik, Dialektik und Spekulation. Diese Werkzeuge treten in «Schauplatz Ethik» ebenfalls in Erscheinung:
- Bewusst wahrnehmen (Phänomenologie): Was geschieht da? Was ist das? Was löst das aus?
- Begriffe klären (Analytik): Was genau bedeutet das? Wozu wird das Wort gebraucht? Was ist ähnlich oder davon verschieden?
- Verschiedene Sichtweisen verstehen (Hermeneutik): Was denken andere? Wie ist etwas gemeint? Wie kam es dazu?
- Argumente abwägen (Dialektik): Was spricht dafür, was dagegen? Was überzeugt mehr oder weniger?
- Fantasieren und weiterdenken (Spekulation): Was wäre, wenn …? Was könnte passieren? Könnte es auch ganz anders sein?
Die fünf Werkzeuge sind in einfache Worte übersetzt. Beim Schauplatz Schwimmbad heisst es zum Beispiel statt «Bewusst wahrnehmen» schlicht «Beschreibe». Worauf die Kinder beschreiben können, wie sich Angst anfühlt, wovor sie Angst haben und was dagegen hilft. Sie können bei der Aufforderung «Denk nach» überlegen, was mutiger ist: vom Sprungturm zu springen oder aber nicht zu springen, gerade wenn unten die anfeuernden Kollegen zuschauen. Und sie können bei «Stell dir vor» fantasieren, was denn wäre, wenn die Menschen keine Angst mehr hätten.«Die Kinder denken über ihre eigenen Werte und Regeln nach und lernen, diese zu formulieren und zu begründen», erklärt Professorin Eva Ebel, Fachdidaktikerin für Religionen, Kulturen, Ethik am Institut Unterstrass in Zürich und Mitentwicklerin des Konzepts «Schauplatz Ethik». Zum Beispiel beim Arbeitsblatt «Wer darf mir den Rücken einreiben? » in der Vertiefung «Nähe und Distanz». Dabei realisieren sie auch, dass die Menschen unterschiedliche Empfindungen, Regeln und Werte haben – und dass das in Ordnung ist.
Klare Struktur mit viel Freiheit
Laut Eva Ebel kann eine Lehrperson mit ihrer Klasse alle Vertiefungen bearbeiten oder aber nur eine, diese dafür intensiver. Vielleicht ergebe sich aber bereits beim Betrachten des Schauplatzbildes ein derart spannendes Thema, dass dieses weiterbehandelt würde, unabhängig von den Vertiefungen. Hinter «Schauplatz Ethik» steht also ein Konzept, das Lehrpersonen gut und verständlich bei den komplexen philosophischen Themen unterstützt, das ihnen aber auch viel Freiraum lässt.Das Lehrmittel wächst mit den Schülerinnen und Schülern mit. Im 2. und 3. Zyklus finden sich im Lesebuch pro Schauplatz drei statt zwei Vertiefungen sowie eine zusätzliche Doppelseite mit zum Nachdenken anregenden Fragen. Das Mitwachsen gilt auch für die Schauplätze: «Die Jugendlichen kennen mehr Leute, dadurch umfasst ihre Lebenswelt Themen und Institutionen, die sie nicht unbedingt aus direkter Erfahrung kennen, etwa das Spital, die Asylunterkunft oder das Gefängnis», sagt Dominik Helbling.
Selbst zu Werturteilen gelangen
Das Lehrmittel gibt nicht vor, wie man denken und handeln soll, sondern leitet zum eigenen Denken und Urteilen an. Eva Ebel: «Gemäss Lehrplan 21 sollen Schülerinnen und Schüler befähigt werden, philosophische Fragen zu stellen und über sie nachzudenken.» Sie würden sich dadurch die Kompetenzen beziehungsweise die Werkzeuge erarbeiten, mit philosophischen und ethischen Herausforderungen im Leben umzugehen. «Wir haben sehr gute Rückmeldungen aus der Erprobung», sagt Dominik Helbling. Die Schülerinnen und Schüler seien voll dabei, sie würden recherchieren und merken, dass ihr Nachdenken und ihre Meinung zählen. Es gehe nicht um die einzige korrekte Antwort, sondern darum, sauber begründen zu lernen. «Und das machen junge Menschen gerne.»