«Eine Klasse in Bewegung lernt besser als eine, die nur stillsitzt.»

Bewegung und Musik fördern das Lernen – das zeigt die Forschung deutlich. Warum wirken sie so positiv auf Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Motivation? Und wie lassen sich Bewegungs- und Musikeinheiten sinnvoll in den Unterricht integrieren? Antworten von Franzisca Schaub, Psychologin und Dozentin an der PH Zürich.

Frau Schaub, warum sind Bewegung und Musik relevant fürs Lernen?

Sowohl Bewegung als auch Musik regen in unserem Körper die Dopaminproduktion an – ein Botenstoff, den wir für Lernprozesse und Gedächtnisleistung, aber auch für unsere Aufmerksamkeit und Motivation brauchen. Unsere Aufmerksamkeitsspanne ist begrenzt. Wir brauchen einen Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung, Konzentration und Auflockerung. Wenn wir uns zu lange anstrengen, ermüden wir und verlieren die Motivation. Bewegung und Musik wirken entspannend, fördern Freude und Wohlbefinden – wichtige Faktoren für die Förderung von Lernprozessen. Wenn wir etwas mit Freude lernen, erinnern wir es besser. Und ist der Körper beim Lernen involviert, bin ich als handelnder Mensch beteiligt. Dadurch werden mehrere Hirnareale aktiviert und die Lerninhalte besser gefestigt.

Dieser Effekt geht also weit über die Konzentrations- und Gedächtnisleistung hinaus, er betrifft auch unsere Fähigkeit, uns emotional auf etwas einzulassen.

Genau. Die emotionale Beteiligung spielt bei Lernprozessen eine grosse Rolle. Musik und Bewegung beeinflussen unsere Stimmung positiv und sie können helfen, Stress abzubauen. Durch Bewegung wird nicht nur vermehrt Dopamin ausgeschüttet, sondern gleichzeitig das Stresshormon Cortisol gesenkt. Gerade in Momenten der Anspannung – etwa wenn wir eine Matheaufgabe nicht verstehen – kann Bewegung helfen, wieder in einen gelösten, aufnahmefähigen Zustand zu kommen, in dem das Lernen leichter fällt.

Welche Rolle spielt die Musik, die ja manchmal, aber nicht immer mit Bewegung einhergeht?

Gemäss dem Neurowissenschaftler Lutz Jäncke, der sich intensiv mit dem Einfluss von Musik auf das Gehirn beschäftigt, gibt es kaum einen anderen Reiz, der unser Gehirn so unmittelbar trifft, wie die Schallwellen. Musik aktiviert unterschiedliche Gehirnareale wie Erinnerung, Motorik, räumliche und visuelle Wahrnehmung sowie auch das limbische System, das für die Entstehung von Gefühlen wichtig ist. Um die emotionale Entwicklung und somit die Lernfähigkeit zu stärken, sollten kleine Kinder schon früh mit Musik gefördert werden – sei es durch Hören, Singen oder Bewegung zu Musik. Untersuchungen zu Chören zeigen, dass Menschen durch das gemeinsame Singen miteinander in Schwingung kommen und sich als Teil eines grösseren Ganzen fühlen. So können sich sogar ihre Herzschläge synchronisieren. Wenn Kinder dieses Zugehörigkeitsgefühl in einer Schulklasse erleben, trägt das ganz wesentlich zu ihrem Wohlbefinden bei und erleichtert ihnen das Lernen.

Wie kann Bewegung und Musik regelmässig im Unterricht eingebaut werden? 

Besonders zu Beginn einer Unterrichtssequenz, am Morgen oder nach der Mittagspause kann eine intensivere Bewegungseinheit helfen, den Kreislauf in Schwung zu bringen. Forschungen zeigen, dass moderate bis intensive Bewegung die Ausschüttung von Botenstoffen besonders fördert – dafür muss der Puls etwas ansteigen. Im Unterrichtsverlauf können kürzere, aktivierende oder entspannende Bewegungen eingesetzt werden. Das kann auch mal ein kurzes Strecken und Gähnen sein. Wichtig ist, auf Anzeichen von Unruhe, Ermüdung oder nachlassender Konzentration zu achten und dann gezielt solche «bewegte Pausen» einzustreuen. Bewegungseinheiten sind eine gute Möglichkeit, den Unterrichtstag zu rhythmisieren.

Gibt es Fächer oder Lerninhalte, die sich besonders dafür eignen?

Grundsätzlich kann man jedes Spiel auf verschiedene Lerninhalte anwenden, beispielsweise indem man zwischendurch ein Quiz einbaut und die Schülerinnen und Schüler je nach Antwort eine bestimmte Bewegung machen. Zwischendurch mal aufzustehen ist schon sinnvoll und lässt sich gut integrieren. Je nach Altersgruppe und Unterrichtsfach gibt es viele kreative Möglichkeiten (siehe dazu Kasten «Tipps für den Einsatz von Bewegung und Musik im Unterricht»). 

Was sind Herausforderungen beim Einsatz von Bewegung und Musik im Unterricht? 

Es kann vorkommen, dass eine Klasse nach einer Bewegungsaktivität noch etwas aufgedrehter ist als ohnehin schon. Deshalb ist es wichtig, eine Übung einzubauen, die sie unterstützt, wieder zur Ruhe zu kommen. Insbesondere durch Bewegungsaktivitäten können die Kinder lernen, wie sie ihre Impulse steuern. Beispielsweise: Ist die Musik schnell, kann man sich wild bewegen, ist sie langsam, dürfen die Bewegungen nur ganz klein und leise sein. Auf diese Weise werden die sogenannten exekutiven Funktionen trainiert, die auch eine wichtige Voraussetzung für die Kooperationsfähigkeit und das soziale Miteinander sind. Grundsätzlich ist es wichtig herauszufinden, was die Bedürfnisse der Schüler und Schülerinnen sind und worauf sie ansprechen. 

Wie ist es mit Schülerinnen und Schülern mit besonderen Bedürfnissen? 

Es hängt stark von den individuellen Bedürfnissen ab, ob diese eher körperlicher, verhaltensorientierter oder kognitiver Natur sind. Meistens können aber alle auf ihre Weise mitmachen, weil es nicht um Leistung oder Wettbewerb geht. Wenn Kinder zum Beispiel auf einem Bein stehen sollen, wechseln manche schneller als andere – das ist völlig okay. Bei Spielen mit komplexeren Regeln kann die Lehrperson bestimmen oder wählen lassen, wer wen unterstützt. Wichtig ist, im Blick zu haben, für wen es schwierig sein könnte und wie man Übungen gegebenenfalls anpasst, damit alle mitmachen können. Bei Kindern, die nicht lange stillsitzen können, sind gezielte Bewegungsübungen besonders hilfreich, damit sie zur Ruhe kommen können. Eine Studie aus Deutschland hat beispielsweise gezeigt, dass Kinder, die ihr Gleichgewicht trainierten, signifikant bessere Noten in Mathematik und Deutsch erzielten als eine Kontrollgruppe ohne dieses Training. Neben den Lese- und Rechenfähigkeiten verbesserten sich zudem die emotionalen und sozialen Kompetenzen. Motorische Entwicklung, Wahrnehmung und kognitive Fähigkeiten sind eng miteinander verknüpft.

Profitiert nicht auch die Lehrperson?

Ja, es ist ein schöner Nebeneffekt, dass es nicht nur den Schülern, sondern auch den Lehrpersonen guttut, sich zwischendurch zu lockern – sei es durch Abklopfen, Dehnen oder Bewegung zu Musik. Und: Was man selbst gerne macht, kommt auch besser an. Wichtig ist, sich immer wieder neu inspirieren zu lassen und den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen zu suchen.

Was möchten Sie Lehrerinnen und Lehrern sonst noch mitgeben?

Vor allem: Mutig ausprobieren! Die eigene Freude ist zentral – hat man Spass daran, überträgt sich das auf die Klasse. Es hilft, sich ein Repertoire an Ideen anzulegen, das man schnell zur Hand hat. Es ist ein Lernprozess, sowohl für die Lehrperson als auch für die Klasse. Wichtig ist dranzubleiben, auch wenn zu Beginn vielleicht noch nicht alles läuft wie erwartet. Mit der Zeit wird man seinen eigenen Stil finden. Eine Klasse in Bewegung lernt besser als eine, die nur stillsitzt. Es lohnt sich daher wirklich, diesen Weg zu gehen.

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