Diversität in Lehrmitteln

Gesucht: Brillenträgerinnen

Schauplatz Ethik - im Schwimmbad

Lehr- und Lernmedien prägen die Gesellschaft. Wie wird sichergestellt, dass Lehrmittel ihre Verantwortung wahrnehmen und die Bevölkerung angemessen und in möglichst all ihren Facetten darstellen?

Wie viele Frauen kommen in den Geschichtsbüchern des Lehrmittelverlags Zürich (LMVZ) vor? Wird im NaTech-Lehrmittel die Klitoris gleich oft erwähnt wie der Penis? Solche Fragen zur Gleichstellung erreichen den LMVZ regelmässig. Auch Fragen zu Nationalitäten kommen vor. Sie spiegeln die Diskussionen unserer Gesellschaft darüber, welche Gruppen sichtbarer gemacht werden sollen und wie wir mit Unterschieden umgehen.

Mitgemeint-Werden hat eine Wirkung

Auch die Politik verhandelt mitunter Gleichstellung und Diversität in Lehrmitteln.So forderte 2019 die Motion «Gleichstellung der Geschlechter in der Bildung» im Grossen Rat des Kantons Bern, die Lehrmittel anhand von Kriterien der Geschlechtergerechtigkeit zu überprüfen und zu verbessern. Der Grosse Rat nahm die Motion an, zu weiteren Handlungen kam es jedoch nicht. Die Verlage würden die Lehrmittel bereits nach Genderkriterien überprüfen, so die Antwort des Regierungsrats. Dass die Verlage in der Pflicht stehen, ist klar. Lernmedien beeinflussen Kinder und Jugendliche durch Darstellungen wie Illustrationen, Fotos und Filme, durch gezeigte Rollenbilder und Verhaltensweisen, durch die Sprache. Werden Menschengruppen beziehungsweise Minderheiten in Text und Bild nur mitgemeint, hat das eine Wirkung (siehe Infobox).

Vom Lehrplan bis zur Verfassung

Wonach also richtet sich der LMVZ? In die Entwicklung von Lehrmitteln fliessen verschiedenste Vorgaben ein, die sich auf Gleichstellung und Diversität beziehen: zum Beispiel die Verfassung, Gesetze, Beurteilungskriterien der Interkantonalen Lehrmittelzentrale (Levanto 2.0), der Lehrplan 21 inklusive Bildung für Nachhaltige Entwicklung. Und auch die «Grundlegenden Qualitätsansprüche an Lehrmittel » des Kantons Zürich. Darin heisst es: Das Lehrmittel macht keine diskriminierenden Aussagen bezüglich der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, genetischer Merkmale, der Sprache, der sexuellen Orientierung, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder bezüglich einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung. [basierend auf Art. 11 der Verfassung des Kantons Zürich]

Den negativ formulierten Qualitätsanspruch «keine diskriminierenden Aussagen» dreht der LMVZ ins Positive, indem er in den Lehrmitteln bildlich eine breit gefächerte Gesellschaft darstellt und sprachlich die Doppelform – zum Beispiel Siedlerinnen und Siedler – verwendet. Darauf geachtet wird an mehreren Stellen im Entwicklungsprozess. Besonders zu erwähnen sind die externen Projektleiterinnen, Autoren, Illustratoren sowie die internen Redaktorinnen, die als Schnittstelle zwischen den Externen und dem Verlag die Fäden in der Hand halten.

Die Argusaugen der Redaktoren

Die externen Experten arbeiten mit einem Leitfaden des Verlags. Die Aufgabe der Redaktorinnen ist es, bei deren Inhalten nochmals genau hinzuschauen – was sie mit Argusaugen tun. Denn es kann doch auch passieren, dass jemand ohne bösen Willen in einem Text einen «Jungen aus Afrika» beschreibt. Ein solcher Satz wird abgefangen und nach einer Nationalität verlangt. Denn umgekehrt wird kaum jemand «ein Junge aus Europa» schreiben.

Auch schon passiert ist, dass in einem Lehrmittel Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft, Religion usw. dargestellt wurden, dass sich auf den Bildern jedoch keine Brillenträger befanden. Was natürlich umgehend geändert wurde. Was als richtig oder falsch, als akzeptiert oder verpönt gewertet wird, ist je nach Gesellschaft unterschiedlich und verändert sich im Laufe der Zeit. Darum muss die Frage, wie wir uns als Gesellschaft in Lehrmitteln darstellen, immer wieder neu verhandelt werden.

Anti-Klischee-Zwang?

Im LMVZ gehört dieses Neu-Verhandeln zum Alltag: «Wir haben noch immer zu viele Bilder mit weissen, dünnen Menschen», «Hallo, kommt jetzt auch wieder einmal ein Junge zum Zug? Da sind ja nur noch Mädchen!», «Auf dem Wimmelbild kommen keine Asiaten vor» oder auch «Muss wirklich jedes Bild das Gegenteil des Klischees zeigen? Eine Familie mit staubsaugender Mutter und Vater mit Bohrmaschine muss doch noch möglich sein?!» Wir bleiben dran …

Support