Auch die wissenschaftliche Forschung beschäftigt sich mit der Frage, wie Diversität in Lehrmitteln dargestellt wird. Linda Chisholm hebt in ihrem internationalen Vergleich 2018 die wichtige Rolle des Schulbuchs als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft hervor. Herausfordernd ist die Aufgabe, diversitätssensible Lehrmittel zu gestalten vor allem deshalb, weil es viele verschiedene Differenzlinien, also Trennlinien, gibt, durch die gesellschaftliche Verhältnisse geprägt sind. So konnten gemäss Chisholm wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass Arbeiterinnen und Arbeiter in Lehrmitteln meist unterrepräsentiert sind und die Geschichte entsprechender Milieus meist nicht miteinbezogen wird. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass in Schulen mit mehr Kindern von Arbeiterinnen und Arbeitern häufiger Texte ausgewählt werden, die weniger Informationen und Forschungsaktivitäten enthalten. Auf diese Weise kommen jene Kinder und Jugendlichen weniger mit wissenschaftlichem Denken und Arbeiten in Kontakt.
«Die Migrantin» gibt es nicht
Aber auch verschiedene ethnische Zugehörigkeiten gilt es miteinzubeziehen und dabei gleichzeitig kulturelle Stereotype und Vorannahmen zu vermeiden. Dies bezieht sich sowohl auf die Vielfältigkeit migrantischer Lebensentwürfe wie auch auf schweizerische Realitäten. «Den Schweizer» oder «die Schweizerin» gibt es nicht, genauso wenig wie «den oder die Migrantin»: So sollte in Schulbüchern beim Thema Migration «die Vielfalt der Gruppen von Zuwanderern und die Vielgestaltigkeit ihrer Motive und Lebenswege erkennbar bleiben» (Geuenich, S. 356) und Fremdheit eher als Beziehung denn als «Wesen des Anderen» (ebenda, S. 358) verstanden werden.
Das konstruierte Geschlecht
Nicht zuletzt ist auch die Repräsentation der verschiedenen (sozialen) Geschlechter eine Aufgabe, der man sich in der Entwicklung von Lehrmitteln stellen muss. So heben Elena Makarova und Kolleginnen in einem Artikel von 2019 hervor, dass die in Schulbüchern verwendeten Beispiele oftmals von Familien und von Berufswelten ausgehen, in der ganz bestimmte Geschlechtsbilder vorkommen. Damit geht eine grosse Verantwortung einher, weil diese Beispiele auch vermitteln, was männlich und was weiblich ist und welche Lebensentwürfe damit einhergehen. Dies ist vor allem in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) relevant, in denen Frauen besonders unterrepräsentiert sind. Hier können und müssen Lehrmittel auch Identifikationsmöglichkeiten für Frauen bieten. Chisholm stellt zudem in ihrem Vergleich hervor, dass Frauen als Autorinnen von Schulbüchern meist stark unterrepräsentiert sind, auch hier besteht ein Handlungsbedarf.
Text: Lea Braun
Quellen
Chisholm, L. (2018) Representations of Class, Race and Gender in Textbooks. In: Fuchs, E. & Bock, A. (Hrsg.): The Palgrave Handbook of Textbook Studies. New York: Palgrave MacMillian US, S. 225–237. Geuenich, H. (2015) Migration und Migrant(inn)en im Schulbuch: Diskursanalysen nordrhein-westfälischer Politik- und Sozialkundebücher für die Sekundarstufe I. Wiesbaden: Springer VS. Makarova, E., Lindner, J. & Wenger, N. (2019) Geschlechtergerechtigkeit von Lehrmitteln. In: vpod bildungspolitik Zeitschrift für Bildung, Erziehung und Wissenschaft 211/2019: Gleichstellung in Unterricht und Schule, S. 5–6.