Die Welt ins Klassenzimmer holen

Mit «Logbuch» das kulturelle Erbe aus der ganzen Welt entdecken

Schattenspiel indonesisch

«Logbuch», das neue Lehrmittel für die gesellschaftswissenschaftlichen Perspektiven des Fachbereichs Natur, Mensch, Gesellschaft, thematisiert unser kulturelles Erbe. Wie dieses in den Unterricht einfliesst, erklärt Projektleiter Peter Gautschi.

Was haben das jahrtausendealte indonesische Schattenspiel «Wayang» mit der Independence Hall in Philadelphia und der Brücke von Mostar in Bosnien und Herzegowina gemein? Alle drei sind UNESCO-Weltkulturerbe und alle drei werden in «Logbuch 6» thematisiert. Denn wie bereits in «Logbuch 5» vermittelt auch «Logbuch» für die 6. Klasse in jedem Kapitel kulturelles Erbe. «Kulturelles Erbe ist der Kitt unserer Gesellschaft. Es trägt dazu bei, Identität aufzubauen und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu schaffen», erklärt Peter Gautschi, Projektleiter «Logbuch» und Professor an der PH Luzern, die Wichtigkeit der kulturellen Bildung in Schulen.

Konkrete Anschauungsobjekte von nah und fern 

Beim UNESCO-Weltkulturerbe handelt es sich um besonders wertvolle Errungenschaften aus der Vergangenheit, die geschützt werden, damit sie den Menschen auch in der Gegenwart und Zukunft erhalten bleiben. Dass sie in «Logbuch» einen grossen Stellenwert haben, hat gute Gründe: Es sind gemäss Peter Gautschi konkrete und bekannte Anschauungsobjekte, die einen interdisziplinären Zugang ermöglichen. Denn ähnlich wie im Lehrmittel «Logbuch» spielen auch beim kulturellen Welterbe die Bereiche Geschichte, Geografie, Wirtschaft und Politik ineinander. Zudem findet man kulturelles Welterbe in der Nähe, aber auch auf der ganzen Welt. «Schaut man sich die kulturelle Vielfalt in Schulklassen an, bietet das UNESCO-Weltkulturerbe die Möglichkeit, die zweite oder erste Heimat aller Kinder ins Klassenzimmer zu holen. Und der Blick in die Welt hinaus erweitert den Horizont.»

 

Weltkulturerbe fliesst harmonisch ein

Im Unterricht fliessen die Kulturerbe-Beispiele harmonisch ein. Das Lehrmittel geht entlang der Grundbedürfnisse Essen, Kleidung, Wohnen, Reisen, Arbeit, Freizeit, Kommunikation und Sicherheit. Je nach Grundbedürfnis kommt dann auch ein entsprechendes Weltkulturerbe zum Zug. In «Logbuch 6» wird «Wayang» beim Grundbedürfnis Freizeit thematisiert, die Independence Hall bei der Sicherheit, die Brücke von Mostar bei der Kommunikation und die Eisenverhüttung von Burkina Faso bei der Arbeit. In «Logbuch 5» werden die Altstadt von Bern beim Grundbedürfnis Wohnen aufgegriffen, die Pfahlbausiedlungen beim Essen, die Seidenstrasse bei der Kleidung oder die Rhätische Bahn beim Reisen. Immer auch ist das Welterbe eingebettet in den Unterrichtsbogen. Dieser wird einerseits durch den klaren Aufbau des Lehrmittels ermöglicht, der den Prozess des Lernens erleichtert; andererseits fördert «Logbuch» auch das spiralförmige Lernen.

Aufbauen auf bereits Gelerntem

Wie «Logbuch» auf bereits Gelerntem aufbaut, erklärt Peter Gautschi anhand der Rhätischen Bahn: Dieses kulturelle Welterbe wird in der 5. Klasse beim Thema Reisen beleuchtet, auf der Basis von Kenntnissen, die sich die Kinder in der 3. Klasse bei demselben Grundbedürfnis angeeignet haben. Denn es ist Konzept von «Logbuch», dass die Grundbedürfnisse «klassenüberspringend» jeweils zwei Mal aufgenommen werden. In der 3. Klasse gehen die Kinder zum Beispiel der Frage nach, welche Wege und Strassen Menschen nutzen, beschäftigen sich ein erstes Mal mit Kartenlesen, lernen die Himmelsrichtungen und den Kompass kennen und erstellen selbst eine Wegekarte. In der 5. Klasse werden darauf aufbauend unter anderem Wohnortswechsel und Heimat thematisiert. Die Kinder eignen sich zudem geografisches Wissen über die Schweiz an, befassen sich mit Höhenkurven und kommen dann gut vorbereitet zur Rhätischen Bahn, deren Netz sie erkunden – wozu sie wiederum auf das Kartenlesen zurückgreifen können. Und mit all diesem Wissen erstellen sie einen Reiseprospekt für ein Reiseziel in der Schweiz.

Wie gelingt es, das Interesse zu wecken?

«Wichtig ist, dass das Interesse der Schülerinnen und Schüler, die unterschiedliche Vorlieben, Hobbys und Herkünfte haben, geweckt wird», sagt der Geschichtsdidaktiker Peter Gautschi. Dies könne auf verschiedene Weise gelingen. Etwa, indem die Lehrpersonen vielfältige Zugänge zu einem Thema bieten. «Gerade die einleitenden Auftaktseiten eignen sich, um eine abgebildete Szene gemeinsam weiterzudenken und allenfalls weiterzuzeichnen oder nachzustellen. Mit einer solchen Auseinandersetzung, die auch Freiraum gibt, entdecken Kinder und Lehrpersonen, was sie interessiert.» Auch helfen das grosszügig vorhandene Material und die vielen Illustrationen, auf denen Menschen abgebildet sind, das kulturelle Welterbe zu veranschaulichen und zu differenzieren. «Das kulturelle Welterbe soll immer an die eigene Erfahrungswelt anknüpfen», so Gautschi. Beim Schattenspiel aus Indonesien könne man die Kinder zum Beispiel über die eigenen Theatererfahrungen abholen und sie spielerisch über das Experimentieren mit Licht und Schatten ans Schattenspiel «Wayang» mit seinem Reichtum an Figuren heranführen. Sind die Kinder davon fasziniert, wollen sie vielleicht sogar ein eigenes Schattenspiel nachbauen und vorführen.

Weltkarte zum Anreichern

«Ich stelle mir vor und würde mir wünschen, dass in jedem Schulzimmer, in dem mit ‹Logbuch› gearbeitet wird, eine Weltkarte hängt. Diese wird laufend mit Fotos von Weltkulturerbe angereichert, die die Lehrpersonen und die Kinder mit ins Klassenzimmer bringen», betont Gautschi. Auf diese Weise sei das Weltkulturerbe präsent und nicht ein Thema, das so schnell verschwindet, wie es aufgetaucht ist. 

«Das Vermitteln von Welterbe hat nicht nur in Schweizer Schulen Bedeutung erlangt. Die sogenannte ‹Heritage Education› ist eine Entwicklung, die sich weltweit abzeichnet.» Peter Gautschi erklärt diesen Trend einerseits damit, dass in einer multikulturellen Welt die Frage nach Herkunft, Heimat und Zusammengehörigkeit einer Gesellschaft eine neue Bedeutung erlangt. Andererseits spiele in einer je länger, desto digitaleren Welt das Analoge wieder eine grosse Rolle: «Es ist etwas anderes, ob man etwas durch eine VR-Brille erkundet oder vor Ort.» Und so sind die Themen rund um das Weltkulturerbe immer auch Einladungen, das Klassenzimmer zu verlassen und die Welt vor Ort zu erkunden – und sei es nur, um sich durch den Gemeinderatssaal führen zu lassen oder die nächstgelegene Brücke zu erkunden.

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