Comiotto: Schön ist auch, wie manche Jugendliche den Zugang finden. Ein Schüler, der kaum rechnen kann, gibt sich enorm Mühe beim Protokollschreiben. Er will das unbedingt können. Ich habe die Jugendlichen zwar in die drei Niveaus eingeteilt. Sie dürfen das Niveau aber wechseln, etwa, wenn sie sich zusätzlich engagieren, wenn sie selbständig NaTech-Themen recherchieren und Fortschritte machen. Das hat sich gut bewährt. Manche sagen: «Ich will in die bessere Gruppe.»
Gibt es auch Herausforderungen bei der Niveaudifferenzierung?
Metzger: Ja. Die Textmenge für das tiefste Niveau ist ein Spagat: Je mehr wir beim Erklären der Versuche ins Detail gehen, desto klarer wird die Aufgabe – aber desto umfangreicher wird der Text, was die Jugendlichen zum Teil abschreckt.
Was bedeutet das für die Praxis?
Metzger: Es ist hilfreich, wenn Lehrpersonen das Textverständnis fördern. Dies können sie tun, indem sie nach Fachwissen fragen, das im Text vorkommt, oder die Schülerinnen und Schüler auffordern, den Text zu strukturieren, zum Beispiel durch das Markieren von Schlüsselwörtern.
Comiotto: Wenn ich die Jugendlichen auffordere, das Wichtige eines Textes zu unterstreichen, ist am Schluss oft der ganze Text markiert – sie finden alles wichtig. Texte zu lesen, zu verstehen und einen Kern herauszuarbeiten ist für sie oft schwierig.
Metzger: Genau deshalb haben wir die Inhalte des Lehrmittels mehrfach überarbeitet, strukturiert und vereinfacht. Manchmal haben wir auch ein Bild ergänzt, um die Verständlichkeit eines Textes zu verbessern. Zudem wurde bereits im Vorfeld mit einer Sprachdidaktikerin ein Sprachkonzept entwickelt. Wir verwenden eine möglichst einfache Sprache, verwenden immer die gleichen Begriffe – zum Beispiel nicht einmal «Eiweiss», ein anderes Mal «Protein». Es darf nicht sein, dass ein Jugendlicher in «Natur und Technik» nicht mitkommt, weil er nicht so gut lesen kann.
Frau Comiotto, Ihr Fazit zur Niveaudifferenzierung?
Comiotto: Die Unterteilung in drei Niveaus erleichtert mir das Unterrichten. Und den Jugendlichen das Begreifen. Das Lehrmittel ist auch sonst eine Bereicherung für den Unterricht.
Inwiefern?
Comiotto: Die Fach-Inhalte für den Unterricht herunterzubrechen ist das tägliche Brot von uns NaTech-Lehrpersonen. Aber dafür brauchen wir ausreichende Materialien, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Das neue «NaTech 7–9» löst das ein – was wirklich nicht selbstverständlich ist.
Was sind weitere Vorteile?
Comiotto: Das Lehrmittel ist sehr abwechslungsreich. Keine Lektion ist gleich wie die andere. Es bieten sich fächerübergreifende Informationen an, zum Beispiel kann beim Thema Wasserstoff ein historischer Film über Zeppeline gezeigt werden. Hilfreich für die Schülerinnen und Schüler ist die Darstellung von Theorie als Mindmap, wenn zum Beispiel alles zum Thema elektrischer Strom zusammengefasst wird, von Begriffen bis zu Formeln.
Ein Thema für Lehrpersonen ist die Materialsammlung. Wie ging es Ihnen damit?
Comiotto: Vieles war in unserer schuleigenen Sammlung bereits vorhanden. Es gab während der bisherigen «NaTech»-Erprobungsphasen nur wenige Experimente, bei denen die Anschaffung von Materialien aufwändig war und ins Geld ging. Das war bei der Untersuchung von Bodenproben der Fall, als es verschiedene Teststäbchen und Luxmeter brauchte. Bei den anderen Experimenten konnte das Material, sofern es nicht schon bei uns vorhanden war, einfach und kostengünstig besorgt werden.
Metzger: Bei der Konzeption von «NaTech 7–9» wurde berücksichtigt, dass auf vorhandene Materialien zurückgegriffen werden kann und sich damit der finanzielle Aufwand für Schulen in einem vertretbaren Rahmen bewegt. Für die Arbeit mit dem Lehrmittel können Experimentiermaterialien von allen Anbietern genutzt werden. Ausserdem geben wir im Lehrmittel auch Hinweise und Tipps zu den Materialien. Etwa, welche Qualität Krokodilklemmen-Kabel haben sollten. Damit wollen wir Lehrpersonen unterstützen, die bisher nur eines der «Natur und Technik»-Fächer unterrichtet haben, und sich in den anderen noch nicht heimisch fühlen.
Stichwort Fächer: Wie entwickelt sich das Miteinander von Physik, Chemie und Biologie?
Metzger: In Zürich gibt es das übergreifende Fach «Natur und Technik» zwar schon länger, aber in der Praxis werden nach wie vor mehrheitlich die einzelnen Fächer unterrichtet – was auch an den bisher zur Verfügung stehenden Lehrmitteln liegt. Berührungsängste sind bei Lehrpersonen immer wieder zu spüren.
Comiotto: Ich liebe die Naturwissenschaften, die Vermischung der drei Fächer ist für mich kein Problem. Wenn eine Klasse bei einem Bach Wasserproben nimmt und diese untersucht, ist es ganz klar, dass die Physik und die Chemie hineinspielen.
Metzger: Wir haben lange daran gearbeitet, dass es innerhalb des Lehrmittels keine Widersprüche zwischen den Fächern gibt. Das wird den Schülerinnen und Schülern das Lernen erleichtern.
Können Sie Beispiele für solche Widersprüche nennen?
Metzger: «Energie» wird in der Biologie anders verwendet als in der Physik. Oder die Chemie schreibt ein Gross-L für Liter, anders als die anderen Fächer. Wir haben im Lehrmittel eine konsequente Linie geschaffen, dass es nicht zu solchen Unterschieden zwischen den Fächern bzw. Themen kommt. Das ist – neben der Abdeckung des Lehrplans 21 – eine der grossen Stärken von «NaTech 7–9». Comiotto: Hilfreich ist auch, dass das Lehrmittel jeweils den direkten Bezug zum Alltag herstellt. Das unterstützt Lehrpersonen in ihrer Arbeit mit «NaTech 7–9».
Ein Schlusswort?
Metzger: Die Entwicklung eines neuen Lehrmittels, das so viele Ansprüche erfüllen muss, ist sehr aufwändig. Aber es ist zugleich sehr befriedigend, wenn man sieht, dass es gut kommt.
Comiotto: Die Jugendlichen haben am meisten Freude an Experimenten. Es muss aber natürlich auch gewährleistet sein, dass sie verstehen, warum beim Experiment etwas Bestimmtes passiert. «NaTech 7–9» unterstützt das Vermitteln von Theorie und Praxis auf optimale Weise.