«Philosophieren übers Znüni»

Wie können philosophische, ethische und religionskundliche Fragen im Kindergartenalltag aufgenommen werden? Wir erfahren von Eva Ebel, Projektleiterin und Co-Autorin des neuen Lehrmittels «Ethik und Religionen im Kindergarten», warum das gemeinsame Nachdenken und Erkunden der Vielfalt im Kindergarten bedeutend ist und wie es gelingt.

Das Znüni versorgt die Kindergärtlerinnen und Kindergärtler nicht nur mit neuer Energie, sondern es kann auch ein Auslöser sein, um miteinander ins Gespräch zu kommen und gemeinsam nachzudenken. Wie können wir das Znüni gerecht teilen? Muss man sein Znüni immer teilen? Ist es auch in Ordnung, wenn ich mein Znüni für mich behalte? Was essen Menschen und was nicht?Warum isst ein Gspänli nie von meinem Schinkensandwich?

Sich in einer vielfältigen Welt orientieren können

«Schon im Kindergarten merken die Kinder, dass sie anders sind als andere Kinder, dass sie andere Dinge mögen, dass sie andere Dinge tun in ihrer Freizeit, dass sie andere Familienverhältnisse haben, eine andere Religion oder dass sie eben anders essen», erklärt Eva Ebel, Projektleiterin von «Ethik und Religionen im Kindergarten». Im Unterricht über Ethik und Religionen werden die Kinder ermutigt, ihre Lebenswelt bewusst zu entdecken und auf der Grundlage ihrer Entdeckungen vermeintlich Selbstverständliches zu hinterfragen – um sich in einer vielfältigen Welt orientieren zu können. «Dass man grundsätzlich über das Leben und über die Vielfalt nachdenkt, ist ein wichtiger Beitrag dazu.» Die Handreichung «Ethik und Religionen im Kindergarten» bietet dabei Unterstützung.

Viele richtige Antworten

Das neu entwickelte Lehrmittel liefert den Lehrpersonen zum einen einen Überblick über die Fachanliegen von «Religionen, Kulturen, Ethik». «Es zeigt insbesondere auch auf, dass die Übergänge zwischen diesen Themen fliessend sein können», erklärt Eva Ebel. Würden die Kinder zum Beispiel über das Essen nachdenken und darüber reden, was ihr Lieblingsessen ist oder dass sie bestimmte Nahrungsmittel nicht essen, dann können aus der Situation heraus ethische oder religionskundliche Aspekte ins Spiel kommen.Zum andern bietet das Lehrmittel stufengerechte Unterrichtsimpulse, um philosophische, ethische und religionskundliche Fragen im Unterricht handlungsorientiert aufzugreifen – entlang der fünf Themen Gemeinschaft, Tiere, Kleidung, Essen und Licht. «Dabei geht es beim Philosophieren um menschliche Grunderfahrungen und existenzielle Fragen, bei der Ethik überlegt man sich, wie man in bestimmten Situationen handeln könnte, und die Religion ist ein Teil der Vielfalt, die uns im Leben begegnet.» Wichtig sei, dass es auf die Fragen nicht eine richtige, sondern viele richtige Antworten gebe. 

Situationen als Ausgangspunkt

Ausgangpunkt des gemeinsamen Nachdenkens und Erkundens ist immer die Lebenswelt der Kinder. Dabei können Situationen im eigenen Kindergarten ebenso der Auslöser für Gespräche sein wie die Situationen des Kindergartenalltags, die auf dem Frühlings- und Herbstposter des Lehrmittels abgebildet sind. Da gibt es nebst der erwähnten Znünipause zum Beispiel eine Szene in der Garderobe, die Fragen aufwirft wie «Was ist Ordnung?» oder «Wie viel Ordnung brauchen wir?», oder die Szene, in der ein Bub seinen Hund umarmt, und Fragen aufkommen wie «Können Menschen und Tiere befreundet sein?» oder «Wie gehen Menschen mit Tieren um?». «Die Poster sind Themenspeicher und Schutz zugleich», sagt Eva Ebel. «Sie bieten die Möglichkeit, über die Szene und die Kinder auf dem Poster zu reden. Ob man dann noch einen Bezug zur eigenen Klasse oder sich selbst machen will, können die Kinder selbst entscheiden.» 

Werkzeuge auf Karten

Wie aber geht das Nachdenken und Erkunden im Kindergarten konkret? Das Lehrmittel stellt ein Set an Werkzeugen zur Verfügung, deren Gebrauch die Kinder nach und nach erlernen. Die sechs Werkzeuge (siehe Abbilung rechts) helfen ihnen dabei, sich beim Philosophieren, beim Nachdenken über ethische Fragen und auch beim Erkunden von Religionen zu orientieren, und zeigen die Kompetenzorientierung des Unterrichts. «Es geht nicht darum, dass man eine Liste von Fragen abarbeitet, sondern dass die Kinder die Werkzeuge erwerben, die sie auf ähnliche Fragen anwenden können», erklärt Eva Ebel. Es sind dieselben Werkzeuge, denen die Kinder in «Schauplatz Ethik» in der Primarstufe begegnen und die sie bis in die Oberstufe begleiten. «Im Laufe der Zeit verfeinern die Schülerinnen und Schüler den Gebrauch dieser Werkzeuge und sie können sie immer selbstständiger anwenden. Im Kindergarten hält die Lehrperson eine Werkzeugkarte hoch und sagt ‹Jetzt sortieren wir mal!›. In einer höheren Schulstufe entscheiden die Kinder dann selbst, welche Werkzeuge sie einsetzen wollen, um eine Frage zu klären.»

Der Blick weitet sich zunehmend

Auch die Komplexität der Fragestellungen und der Horizont weiten sich mit den Schulstufen. Mit «Ethik und Religionen im Kindergarten» erfahren die Kinder, dass es spannend ist, über Fragen nachzudenken, die in ihrer Lebenswelt aufkommen. Sie merken, dass es unterschiedliche Meinungen gibt und es sich lohnt, die Gedanken zu teilen. Mit steigendem Alter weitet sich der Blick. «Man geht immer weiter über das hinaus, was im Klassenzimmer 
passiert, und landet schliesslich bei gesellschaftlich relevanten Fragen – immer mit der Absicht, dass sich die Kinder und Jugendlichen in unserer Welt, die vielfältig und herausfordernd ist, orientieren können», erklärt Eva Ebel. 

Gespür für interessante Fragen

Für den Unterricht im Kindergarten ist das neue Lehrmittel eine Fundgrube, aus der die Lehrpersonen jene Themen auswählen können, die gerade zu ihrer Klasse passen. «Wichtig ist nicht die Menge an Fragen, die man bearbeitet, sondern die Haltung, dass solche Fragen wichtig sind. Es braucht ein Gespür dafür, wo interessante Fragen liegen.» Dies gelte insbesondere auch für die religionskundlichen Aspekte. Wenn die Kinder in ihrem Alltag dem Osterhasen begegnen, kann dies ein Anstoss sein, um über verschiedene Bräuche zu reden. Wenn ein Kind erzählt, dass die Familie das Ramadan-Fest feiert, kann dies ein Auslöser sein, um über religiöse Feste zu sprechen. «Man muss nicht selbst Expertin oder Experte sein für eine Religion und kann trotzdem religionskundliche Fragen mit den Kindern bearbeiten.» Bei der Religion gehe es allem voran darum, die Vielfalt wahrzunehmen, wenn diese im Alltag der Kinder sichtbar sei – und daran anzuknüpfen.
 

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